Tangstedt, 02.02.2024. Als Oberbaudirektor ist Franz-Josef Höing wichtigster Entscheider, wenn es um das Erscheinungsbild der Stadt Hamburg geht. Für unser Mitarbeitermagazin „Perspektive“ sprachen wir mit ihm darüber, wie seine Behörde den Herausforderungen in der Baubranche begegnet und welche neuen Innovationen zukunftsfähig sind.
Herr Höing, Sie sind seit sechs Jahren Oberbaudirektor in der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen der Freien und Hansestadt Hamburg - wie dürfen wir uns Ihre Aufgabe genau vorstellen?
F.-J. Höing: Hamburg wächst, möglicherweise erreicht die Stadt irgendwann die Zwei-Millionen-Grenze. Das heißt, dass wir uns in der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen vor allem mit der Frage beschäftigen, wo und an welchen Stellen unsere Stadt wächst. Zum Beispiel der Grasbrook: Gegenüber der HafenCity einen neuen Stadtteil zu bauen, die Veddel anzubinden und den Sprung über die Elbe zu organisieren, ist eine immense Herausforderung. Und dann gibt es da noch die Wohnquartiere der Fünfziger- und Sechzigerjahre, etwa im Hamburger Osten, die sprichwörtlich in die Jahre gekommen sind. Dort gilt es zu überlegen, wie wir mit dem Bestand umgehen. Wir sind also mit ganz unterschiedlichen Themen konfrontiert. Die Aufgabe für mich als Oberbaudirektor ist es, über die Stadtentwicklung als Ganzes nachzudenken und dabei das Stadtbild mitzuprägen.
Können Sie uns Beispiele für eine erfolgreiche Kooperation zwischen der Stadt Hamburg und der Privatwirtschaft nennen, die zu innovativen Bauprojekten geführt haben?
F.-J. Höing: Ja, sehr gerne! Ein besonders interessantes Beispiel ist das europäische Forschungsprojekt „CIRCuIT“ zum Thema Kreislaufwirtschaft. Auch Ihre Unternehmensgruppe war Teil davon. Hier haben wir mit Privatunternehmen kooperiert, um gemeinsam auf die Prozesse in der Bauwirtschaft zu schauen und zu überlegen, wie zirkuläres Bauen umgesetzt werden kann. Denn damit stehen wir noch relativ am Anfang.
Welche Ergebnisse hat das Projekt CIRCuIT hervorgebracht?
Ganz konkret konnte die Herstellung von Recycling-Beton mit verschiedenen Betonrezepturen erfolgreich getestet werden. Der sognannte R-Beton wurde in einem Schulneubau in der Richardstraße auf der Uhlenhorst bereits eingesetzt und ist auch für kommende Schulneubauten vorgesehen. Bei diesem Projekt haben wir erstmals zu einem solch frühen Zeitpunkt mit Abbruchunternehmen kooperiert, das war sehr aufschlussreich für alle Beteiligten. Wir befinden uns in einer Phase, in der Rollenverständnisse und Arbeitsprozesse beim Bauen vollkommen neu gedacht werden. In diesem Sinne war dies ein sehr besonderes Projekt!
Das Ziel der Hamburger Stadtentwicklung ist es, Hamburg als lebenswerte Stadt zu erhalten und weiterzuentwickeln. Welche innovativen Bauprojekte hat Hamburg hervorgebracht, die möglicherweise auch als Vorbild für andere Städte dienen?
F.-J. Höing: Es gibt eine Reihe von konkreten Bauprojekten in der HafenCity, die sich immer ein Stück weit auch als offenes Labor begreift. Hier entsteht etwa ein Null-Emissionshaus. Andere Projekte treiben das Cradle-to-Cradle-Prinzip voran. Solche Vorhaben betrachten den Lebenszyklus eines Gebäudes. Der Lebenszyklus berücksichtigt, wie viel Energie bei der Herstellung eines Gebäudes eingesetzt wird, was es während der Nutzung an Energie verbraucht und wie viel CO2 beim Rückbau entsteht.
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?
F.-J. Höing: Interessanterweise entsteht dadurch auch eine andere architektonische Ästhetik. Unsere Stadt ist stark geprägt vom Backstein, einem Material, das jeder mit Hamburg verbindet. Aber die Herstellung von Backstein braucht sehr viel Energie, auch bei einer langen Lebensdauer wird sich das nicht ohne weiteres amortisieren. Insofern stellt sich die Frage: Verändert sich jetzt das Gesicht dieser Stadt? Können wir das Material noch verwenden? Auch die Baustoffindustrie beziehungsweise die Ziegelindustrie beginnt, Überlegungen anzustellen, wie recyceltes Material eingesetzt werden kann und ob sich Backstein auch anders herstellen lässt.
Backsteine begegnen uns häufig bei Abbrüchen alter Gebäude. Wir separieren sie auf unserem Brecherplatz und verwenden sie als Baustoffe in anderen Projekten.
F.-J. Höing: Und das ist genau der richtige Weg in Richtung Kreislaufwirtschaft: Was bislang Abfall war, ist eigentlich Rohstoff. Darüber hinaus entsteht eine Fülle neuer Materialien. Es bewegt sich endlich etwas bei dem wichtigen Thema Abfall und Rohstoffe. Dieser Perspektivwechsel ist extrem wichtig.
Wie muss sich das Bauwesen in Hamburg verändern, um eine nachhaltige Stadt und lebenswerte Zukunft mitzugestalten?
Wir müssen mit einem anderen Blick auf die Bestände schauen. Müssen uns die Frage stellen, was sich ertüchtigen lässt und welche Standards für bestehendes Baumaterial gelten sollen. Das ist eine Debatte, die nicht ganz einfach zu führen ist. Dennoch ist es eine, die wir sehr zügig forcieren und antreiben müssen. Und wenn ich sage „wir“, dann meine ich alle, die am Bauprozess beteiligt sind.
Wir müssen effizienter bauen, damit Gebäude bei der Herstellung und Nutzung deutlich weniger Energie verbrauchen. Wir müssen suffizient bauen, also den Ressourcenverbrauch verringern. Wir müssen konsistent bauen, mit naturverträglichen Technologien und natürlichen Baustoffen. Und schließlich müssen wir klimaresilient bauen, um unsere Stadt gegen die Auswirkungen des Klimawandels zu schützen.
Vielen Dank, Herr Höing, für das interessante Interview!