Am Rande der Stadt Hamburg wächst ein neues Stück der A26: der Abschnitt 4.1. Die Autobahn ist eines der größten Bauprojekte der Region und soll die Westtrasse zwischen Hamburg und Niedersachsen bilden – um so die Straßen spürbar zu entlasten.
Auf Sand gebaut
Wir fahren mit dem Baustellenfahrzeug auf einer breiten Sandpiste Richtung Hamburg. Am Steuer sitzt Bauleiter Clemens Liegmann. Neben uns türmen sich hellbeige Sandberge. Abseits der Piste blitzt Wasser auf – die A26 durchquert eine Landschaft aus Moor und Naturschutzgebiet. „Das Ganze hier war mal bis zu neun Meter höher“, erklärt Liegmann und meint damit die Sandstraße. „Unter uns befindet sich das Buxtehuder Moor. Das Gewicht des Sandes sorgt dafür, dass sich der Untergrund konsolidiert, also verdichtet und setzt, damit später der Verkehr darüber rollen kann.“ Allerdings setzt sich der Boden nicht so schnell wie gewünscht. „Deshalb sind wir etwas im Verzug. Das Moor ist eben unberechenbar“, so Liegmann. Bisher konnten er und sein Team lediglich das Sandplanum herstellen. Es bildet die Basis für den Straßenaufbau. Nach anschließender Herstellung der Entwässerung folgt die Schottertragschicht von 30 cm Stärke.
Clemens Liegmann ist einer von vier Bauleitern der ARGE – der eigens für dieses Baulos gegründeten Firma, bestehend aus den Unternehmen Holst, Hagemann, Kemna sowie EGGERS Umwelttechnik. Zu Liegmanns Aufgaben gehören Ausführung, Materialeinkauf und Koordination der Baustelle. „Als Bauleiter bist du immer alles und gar nichts“, beschreibt der 33-Jährige scherzhaft seinen Job. Trotz sorgfältiger Planungen im Vorfeld lassen sich Verzögerungen kaum vermeiden. Vor dem eigentlichen Straßenbau müssen Lärmschutzwände errichtet, sowie Entwässerungssysteme und Drainagen hergestellt werden. Sein Team führte bereits die Erdbauarbeiten für die Lärmschutzwandfundamente aus. Nun steht das Schichtwasser in den Baugräben so hoch, dass teilweise aufwendige Pumpenarbeiten erforderlich sind, um eine einigermaßen trockene Baugrube zu erhalten. In einigen Bereichen hilft uns unsere Wasserabteilung dabei, weil eine „einfache“ Pumpe nicht mehr ausreicht.
„Das Vorbaulos hat hier Geotextilien eingesetzt, um die Untergrundbedingungen zu verbessern. Das finden wir nun an einigen
Stellen wieder“, erklärt Liegmann. „Von den ersten 3,5 Kilometern konnten wir gerade mal 500 Meter so umsetzen, wie es vorgesehen war.“ Alltag auf einer Baustelle. Sein eigentliches Problem ist jedoch der Sand.
Zwischen Logistik und Improvisation
Das Thema „Sandmanagement“ erfordert auf manchen Baustellen eine eigene Arbeitskraft – so komplex ist die Logistik. Hier ist Liegmann dafür verantwortlich. Aktuell hat er zu viel Sand. „Es ist unsere Aufgabe, den Sand abzutransportieren. Geplant war, ihn an anderer Stelle der A 26 einzusetzen.“ Dadurch, dass der Bau statt im Mai erst im Dezember 2023 starten konnte, ist die ursprüngliche Verwendung hinfällig. Wohin also mit dem überschüssigen Sand? „Sand zweimal anfassen bedeutet unnötig Geld verbrennen“, bringt Liegmann es auf den Punkt.
Insgesamt müssen über 250.000 Kubikmeter bewegt und davon ca. 100.000 Kubikmeter weggefahren werden – das sind 4.000 LKWs. Kein Pappenstiel. Ein erster Teil konnte auf dem EGGERS-Areal in Grasbrook zwischengelagert werden. „Das Teuerste am Sand ist der Transport“, bemerkt Liegmann pragmatisch. Und so bleibt der Rest vor Ort, bis sich eine Lösung gefunden hat – an Platz mangeltes zum Glück nicht.
Liegmanns Pragmatismus zeigt sich auch an anderer Stelle: Neben den üblichen gelben Baggern sind auf der Baustelle auch grüne Trecker zu sehen – Geräte der hiesigen Landwirte. Sie unterstützen EGGERS bei den Erdbauarbeiten. „Die Landwirte freuen sich, dass die Trecker Auslastung haben, wenn keine Ernte ist“, weiß Liegmann. Die Kooperation spart Kosten, sonst müssten die Maschinen aus Hamburgs Norden hergebracht werden. „Das Miteinander klappt super“, so Liegmann zufrieden.
Von Wildschweinen, Fasanen und Fledermäusen
Noch weitere Nachbarn aus der ländlichen Umgebung sind auf der Baustelle unterwegs: „Die Kollegen, die hier morgens um 6 Uhr zugange sind, sehen schon mal Wildschweine oder Fasane.“ Die Autobahn führt eben durch ein sensibles Ökosystem. Nicht umsonst umfasst das Baulos 4.1 zwei Fledermausquerungen. „Die Tiere haben ihre festen Routen, die Lärmschutzwand ist über vier Meter hoch“, so Liegmann. Damit sie trotzdem ungehindert zwischen ihren Jagdgebieten pendeln können, werden zwei Fledermausbrücken errichtet. Zudem schützt die Wand die angrenzenden Felder und Flächen vor Straßenlärm. Bäume dienen im Böschungsbereich als Erosionsschutz.
Auf der Zielgeraden
Mit rund 75 Millionen Euro ist das Baulos eines der größeren Projekte, an denen die EGGERS Umwelttechnik beteiligt ist. Die Baustelle erstreckt sich auf acht Kilometern Länge und 60 Metern Breite. EGGERS übernimmt auch den Endausbau – die Autobahn wird komplett befahrbar mit allen Markierungen und der Beschilderung übergeben. Bis März 2026 sollte Liegmanns Abschnitt fertig sein; durch die bereits erfolgte Bauzeitverschiebung und das unvorhersehbare Setzungsverhalten liegt das Bauende aktuell bei Mitte 2027. „Es ist spannend, ein Projekt dieser Größenordnung zu koordinieren und Lösungen zu finden“, resümiert der Bauingenieur, der zugleich Umweltingenieurswissenschaftler ist. Er mag seinen Job zwischen Sand, Moor und Fledermäusen.
Fotograf: Sebastian Engels